2.7 Open Source — ein zukunftsfähiges Softwarekonzept für den öffentlichen Sektor (Heinrich Fritzlar und Roeland Hofkens)

Zusammenfassung: Open Source wird geliebt und beargwöhnt. Open Source hat große Vorteile, führt aber nicht zwingend zu den besseren Lösungen. Open Source ist weit verbreitet und eine professionelle Com­munity entwickelt die Lösungen permanent weiter. Open Source ist aus der heutigen IT-Welt nicht wegzudenken und hat ein großes Zukunftspotenzial – dennoch wird es proprietäre Software, Closed Sour­ce, nicht verdrängen. Dieser Text will typische Argumente anreißen und dem Leser helfen, seine Meinung zu Open Source zu bilden.

Über die Autoren:

Heinrich Fritzlar ist Partner bei der Westernacher und Partner Unternehmensberatungs AG, spezialisiert in IT- und Management-Beratung von ECM/Alfresco- und SAP-Projekten. Die Themen öffentlicher Sektor und Open Source bilden einen Schwerpunkt in seiner Arbeit. Heinrich Fritzlar ist einer der Herausgeber dieses Bandes.

Roeland Hofkens ist Chief Technology Officer bei Westernacher und verantwortet seit Jahren die technische Weiterentwicklung und Implementierung der Open Source ECM Suite Alfresco im Hause Wester­nacher.

 

Aus den praktischen Erfahrungen im Umgang mit Open-Source-Produkten im Business-Umfeld haben sich für uns typische „Knackpunkte“ herauskristallisiert, denen der Entscheidungsträger in einer öffentlichen Verwaltung aber auch jeder anderen Institution, die Open Source professionell einsetzen wollen, immer wieder begegnet. Die IT-Landschaft einer Institution oder Verwaltung ist üblicherweise historisch gewachsen. Im ersten Schritt ist zu überprüfen, wie kompatibel die bestehende IT-Landschaft mit Open-Source-Lösungen ist. Ein Nutzen von OS-Anwendungen liegt in ihrer Vernetztheit mit anderen OS-Komponenten. So ist es unsere Erfahrung, dass beispielsweise eine hauptsächlich Microsoft-lastige Umgebung in sich homogen geschlossen ist und nicht das ideale Ökosystem für eine eingepflanzte OS-Anwendungen ist. Die Entscheidung für OS beeinflusst also wechselwirkend auch andere Softwareprodukte und Komponenten und die Entscheidung über deren Weiterverwendung.

Sollte sich die IT-Landschaft heterogener zeigen und der Einsatz von OS als rational erscheinen, dann bringt das für Betreiber und Anwender eine Reihe von Vorteilen mit sich. Die geringeren Kosten stellen einen sehr wichtigen Vorteil dar. Auch professionelle Enterprise-Versionen von Open-Source-Produkten haben einen Preisvorteil – auch wenn sie nicht gratis sind. Ferner ist auf der Einkaufsseite wichtig, eine zu starke Herstellerabhängigkeit – das sogenannte vendor-lock-in – zu vermeiden. OS-Produkte brechen diese Abhängigkeit und heben den Nachfrager auf eine gleichberechtigtere Stufe mit seinem Lieferanten. Die gleichen Standards und die einhergehende Vernetztheit vereinfachen das Zusammenspiel der Softwarekomponenten. In einer OS-Landschaft lassen sich die verschiedenen Komponenten besser integrieren und customizen. Hier ist es ein großer Vorteil, wenn komplexere Systemlandschaften aufgebaut werden und die nachfrageseitigen Anforderungen sehr spezifisch sind. Allerdings muss hier darauf geachtet werden, wie das aufgebaute System zukünftig wartbar bleibt.

Ein wichtiger Punkt, der bei einer „Für und Wider“-Abwägung die Entscheider betrachten sollten, ist der Reifegrad der OS-Lösung. Die Zeiten, in denen OS die „Welt der Nerds“ war, wo daheim entwickelt wurde und die Software schlecht dokumentiert war, sind vorbei. OS hat sich professionell entwickelt – hervorzuheben ist hier die Apache Software Foundation, die seit jeher die Professionalisierung der OS vorangetrieben hat. Das „Freemium“-Konzept – wenn Basisfunktionen gratis sind und Zusaztleistungen kostenpflichtig – wird in der OS-Welt durch Community- und Enterprise-Versionen umgesetzt. Die Community-Version wird gratis angeboten, Zusatzdienste in der Enterpise-Version sind kostenpflichtig. Gerade die anspruchsvollen Enterprise Versionen haben dazu beigetragen, den Reifegrad der OS-Lösungen voranzutreiben.

Will man Open Source betrachten und sich eine Meinung dazu bilden, kommt man an einer ganz simplen Frage nicht vorbei: Ist das Arbeiten mit Open Source eigentlich effizient und wie effektiv sind die Ergebnisse? Kann der öffentliche Auftraggeber davon ausgehen, dass seine Softwareentwickler Probleme oder Anforderungen beim Codieren effizient lösen können? Die Frage nach der Effizienz kann mit einem simplen Ja beantwortet werden. Sobald die Community groß genug ist, ist das Arbeiten der Entwickler effizient möglich.[1] Dann sind Probleme schneller gelöst, weil sich die Community darüber austauscht und hilft.  In einer sich rege austauschenden Community werden Verbesserungen und Änderungen an der Software professionell und nachvollziehbar dokumentiert. Die Frage nach der Effektivität kann mit einem „Jein“ beantwortet werden. Ob die Ergebnisse der Arbeit mit Open Source effektiv sind, also die spezifischen Problemstellungen der Nachfrager löst, ist nicht nur vom Professionalisierungsgrad abhängig. Es ist auch von den einzelnen Menschen, die sich in Anforderungen und Probleme eindenken, abhängig. So kann per se nicht behauptet werden, dass durch OS die besseren Lösungen entstehen müssten – sie werden es aber, wenn Einsatz und Reifegrad zusammenfinden.

Open Source ist für viele mehr als nur Software, dahinter steckt ein Konzept, eine Idee. Wenn man fragen will, was hat das Konzept Open Source mit uns als Menschen und Gesellschaft gemacht, dann kann man sich als Beispiel das Internet ansehen. Die Basis des Internets ist Open Source und ohne Open Source wäre das Internet nicht so schnell gewachsen. Der Einfluss des Internets wiederum auf unser Leben ist enorm und noch gar nicht abzusehen. Open Source ist also kein singuläres Phänomen in der Entwicklergemeinde von Softwarelösungen – es ist im Leben angekommen und spürbar. Gerade deshalb hat es auch diesen Charme für viele Anwender und Nachfrager entwickelt. Viele Menschen arbeiten dezentral und gemeinsam an einem Projekt und treiben es voran, Probleme werden kooperativ gelöst und alle Informationen liegen allen vor – es ist eine Wissensallmende. Jedoch: Charme allein kann den großen Erfolg von Open Source nicht erklären, dann wäre OS in der Welt der technischen Liebhaber geblieben. Für die Nachfrager sind harte Fakten entscheidend, die schlichte Qualität der Produkte und der monetäre Aspekt. Alles zusammen: Charme, Qualität und Preis machen OS in der Zukunft immer unwiderstehlicher.

Spannend am Open-Source-Konzept ist auch die Wechselwirkung mit Open Standards. Open Source geht dabei Hand in Hand mit Open-Standards. Die Community braucht beides und die Open-Source-Anforderungen treiben die professionelle Etablierung von Standards voran.

Und was bedeutet das alles für die Closed-Source-Welt? Obwohl es für nahezu jede Closed-Source-Anwendung ebenbürtige oder besser OS-Lösun­gen gibt, wird man aus purer Gewohnheit oder um die Anwenderakzeptanz zu behalten, wohl immer wieder auch zu den üblichen Closed-Source-Lösun­gen greifen. Eine 100%-ige OS-Welt ist zwar möglich und es gibt hier viele erfolgreiche Beispiele, in der Breite hat sich das Konzept OS heute aber in einer Hybridwelt mit Closed-Source-Produkten etabliert. Die IT-Landschaft einer Verwaltung, Behörde oder Firma baut sich naturgemäß langsam auf. Die Anforderungen , die Entscheider, die Nutzer und Technologien änderten sich über die Zeit und alle haben in der IT-Landschaft ihre Spuren hinterlassen. So ist eine beliebige IT-Landschaft in einer Verwaltung ein Beispiel für eine historisch gewachsene Hybridwelt aus Soft­ware-Systemen, Standards und Formaten. Keith Curtis verglich den Über­gang von Closed Source zu Open Source mit dem Übergang von der Alche­mie zur Wissenschaft. Will man diesen Vergleich benutzen, dann ist klar, wer am Ende obsiegt, aber auch, dass bis dahin noch viel Zeit vergehen wird. Schließlich ist der Umgang mit ihrem „intellectual property“ die höchst­eigene Entscheidung jeder Softwarefirma. Jedes Vermarktungsmodell, auch das proprietäre Vermarktungsmodell, darf ausprobiert werden und der Kunde wird am Ende über den Erfolg entscheiden.

Open Source erscheint als genialer und moderner Ansatz, um das Wissen und die Intelligenz von vielen zu bündeln und in Produkte zu gießen. Dezentrale Ressourcen werden vernetzt und auf einen Punkt gebündelt, um damit eine Lösung voranzutreiben. Open Source ist für uns zeitgemäß und ein Zukunftstrend. Wie gut die Ergebnisse einer OS-Software-Lösung für den Anwender dann tatsächlich sind, hängt aber nicht allein vom Konzept Open Source ab, sondern von den Menschen, die eine Open-Source-Lösung wollen und aufsetzen. Am Ende sind es die Menschen und nicht das Konzept, die schwierige Probleme lösen müssen.



[1] Vgl. auch Beitrag 2.4 von Michael Gröschel in diesem Band.

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