1.4 Wie kann sich Open Source als nachhaltiges Modell für die IT-Entwicklung etablieren? (Interview mit Peter Ganten)

Kurzfassung: Open Source ist ein Thema, dessen technologische Kom­ponente schon seit über einem Jahrzent besteht. Dennoch beginnt die Technologie erst in diesen Jahren, Einzug in die öffentliche Ver­waltung zu halten. Dabei kann die öffentliche Hand von der Wirt­schaftlichkeit, der Effizienz sowie der Nachhaltigkeit von OSS umfas­send profitieren. Ein wichtiger Vorteil ggü. privatwirtschaftlichen Ent­wicklerteams stellt die Anwendernähe dar, die typisch für Open-Source-Entwicklung ist. Damit sich OSS auch im öffentlichen Sektor durchsetzen kann, muss klar definiert werden, was OSS ist und was nicht. Es ist folglich unabdingbar, Standards für die OSS-Entwickung festzulegen.

Peter H. Ganten ist Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance e.V. (OSB Alliance) sowie Geschäftsführer der Univention GmbH, einem der führenden europäischen Anbieter von Open-Source-Produk­ten für den Betrieb und die Verwaltung von IT-Infrastruktur.

 

Herr Ganten, die Idee der Open-Source-Entwicklung ist nicht neu – wo steht der Open-Source-Sektor Ihrer Meinung nach im Jahr 2012?

Das Thema der Open-Source-Entwicklung wird in der Tat bereits seit mehr als zehn Jahren in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert, schon damals wurden wichtige Entwicklungen angestoßen. Die aktuelle Diskussion um das Thema Cloud Computing lässt es allerdings manchmal so erscheinen, als würde Open Source in den Hintergrund treten. Dabei wäre es ein falscher Ge­dankengang, Cloud Computing als Alternative zu Open Source zu sehen, denn das ist es eindeutig nicht. Bei realistischer Betrachtung besteht Grund für Optimismus in der OSS-Branche. Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass OSS der einzige Weg hin zu einer nachhaltigen IT-Entwicklung und IT-Infrastruktur ist. In der Wirtschaft ist diese Erkenntnis schon bei Vielen angekommen, Nachholbedarf gibt es vor allem bei den neueren Akteuren aus dem öffentlichen Sektor, die zum Teil noch sehr skeptisch sind. Dabei können alle Beteiligten von OSS profitieren. Das Entwicklungsmodell sichert Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Nachhaltigkeit.

 

Worin besteht der Unterschied zwischen der Open-Source-Community einerseits und professionellen IT-Entwicklern andererseits?

 

Zunächst mal ist das ja gar kein Gegensatz, denn bei dem überwiegenden Teil der Entwickler in wichtigen Open-Source-Projekten handelt es sich um professionelle IT-Entwickler. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen vielen OSS-Communities und privatwirtschaftlich organisierten Softwareentwicklungsprojekten: Die OSS-Communities sitzen oft viel weniger in einem Elfenbeinturm. Sie können auf keine Marketingabteilung zurückgreifen und ihnen steht auch kein organisierter Vertrieb zur Verfügung. Während dies auf den ersten Blick wie ein Nachteil erscheint, macht es die Stärke solcher Projekte aus. Die Entwickler suchen die Interaktion mit Anwendern und entwickeln im direkten Dialog Lösungen, die genau auf die Anforderungen der Anwender zugeschnitten sind. Anwender haben darüber hinaus die Möglichkeit, sich selbst an der Entwicklung zu beteiligen, indem sie Ressourcen zur Verfügung stellen. Durch diesen Schritt werden sie zu Prosumenten. Die Steuerung von Open-Source-Projekten stellt einen weiteren Kontrast zur IT-Entwicklung innerhalb von geschlossenen Organisationen dar. OSS-Commu­nities arbeiten meist ohne festes Budget für eine Aufgabe, es gibt zunächst keine klaren Hierarchien und auch die Allokation von Ressourcen wird nicht zentral gesteuert. Vielmehr noch als beim Managementprozess innerhalb von Unternehmen, ist in der OSS-Community daher das Konzept des Governance von Bedeutung. Doch hier verschwimmen die Grenzen, wenn sich Unter­nehmen mit privatwirtschaftlicher Orientierung an Open-Source-Entwick­lungs­prozessen beteiligen.

 

Die öffentliche Hand als potenziell wichtiger Nachfrager von OSS-Lö­sun­gen agiert noch weitestgehend zögerlich. Was sind die Gründe für diese Zu­rückhaltung?

Oft scheuen sich Verantwortliche im Public Sector, aus unternehmerischer Sicht richtige, aber in anderen Verwaltungen noch nicht erprobte Wege zu gehen. Das ist ein grundsätzliches Problem der öffentlichen Hand: Wenn ich der Gesellschaft als öffentlicher Auftraggeber langfristig viel Geld gespart habe, habe ich wenig davon. Wenn ich aber etwas anders mache, als die meisten anderen und es geht schief, dann ist das eine schlechte Situation.

Dagegen helfen klare Regeln und Bewertungssysteme. So ist es gerade bei der Vergabe von öffentlichen IT-Aufträgen oft unklar, welche Rolle offene Standards spielen. Wenn diese Standards bei der Auftragsvergabe keine Rolle spielen, hat dies oft zur Folge, dass zweitklassige Lösungen eingesetzt werden. Dann gibt es keine klaren Regeln für Daten und Schnittstellen. Es kommt zu Kompatibilitätsproblemen, wie sie z.B. häufig bei den unterschiedlichen Office-Formaten auftreten, und Softwarekomponenten sind nicht austauschbar. Es ist also unerlässlich, dass die Einhaltung offener Standards ver­bindlich wird – und dass sie dort definiert werden, wo sie noch nicht exis­tieren. Da­rüber hinaus muss die öffentliche Hand stärker als Förderer von OSS-Ent­wicklungsprozessen in Erscheinung treten. Bislang liegt der Fokus oft auf dem Erwerb von einzelnen Patches und OSS-Erweiterungen. Wei­testgehend unberücksichtigt bleibt hingegen die aktive Begleitung des Ent­wicklungsprozesses. Die öffentliche Hand muss erkennen, dass durch eine gezieltere Förderung nicht zuletzt auch die Unternehmen profitieren, deren Produkte auf OSS-Lösungen aufbauen. Open-Source-Förderung ist somit auch ein Thema der Wirtschaftsförderung.

 

Wie kann sich Open Source langfristig als nachhaltiges Modell für die IT-Entwicklung etablieren?

In vielen Bereichen hat es sich schon sehr erfolgreich etabliert. Allerdings ist es entscheidend, klar abzugrenzen, was Open Source ist und was nicht. Die Offenlegung von Quellcodes allein qualifiziert kein IT-Projekt als Open Source. In Bezug auf die öffentliche Hand kann die Definition eines klaren Standards dabei nicht Aufgabe einzelner Kommunen sein. Vielmehr muss dies ein politischer Prozess auf zentraler Ebene unter Einbeziehung von Bran­chenvertretern sein. Wichtige Entscheidungsträger können dabei die fol­genden Institutionen sein: Das Bundesministerium des Innern (BMI), das Bun­desamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und Vertreter der Länder. Auch die OSB Alliance, als größter OSS-Branchenverband im deutsch­sprachigen Raum, spielt eine wichtige Rolle in diesem Prozess.

Unerlässlich ist zunächst die Erklärung des gemeinsamen Willens zur Implementierung von OSS-Standards. Wichtig ist auch, dass Deutschland zukünftig weniger als verlängerte Werkbank in Bezug auf IT-Entwicklung fungieren sollte. Wertschöpfungsketten innerhalb Deutschlands und Europas müssen gestärkt und bereits erfolgreiche Projekte mit messbarer Wertschöpfung als Leuchtturmprojekte positioniert werden. In einem zweiten Schritt müssen Standards für Daten und Schnittstellen festgelegt werden, um ein Bezugssystem sowohl für Entwickler als auch für Anwender zu schaffen. Allerdings dürfen trotz der enormen Vorteile, die eine Standardisierung mit sich bringt, auch die Nachteile nicht außer Acht gelassen werden. Sollte eine Zertifizierung zur allgemeinen Pflicht werden, so würde sich dies negativ auf die Agilität der Branche auswirken und wichtige kreative Impulse im Keim ersticken.

 

Offene Kooperationsmodelle sind nicht allein für die Open-Source-Bran­che von Bedeutung. Ist die OSB Alliance auch in angrenzenden Themen­feldern aktiv?

Es ist wichtig zu erkennen, dass Open Source nicht zuletzt das Potenzial hat, Monopolstellungen und technikbedingte Hersteller-Abhängigkeiten zu verhindern. Die bevorstehenden Veränderungen im Markt der Schulbücher verdeutliche bspw. dieses Potenzial. Seit Apple Inc. sich zum Ziel gesetzt hat, das klassische Schulbuch durch digitale Angebote abzulösen, ist Bewegung in die Verlagsbranche gekommen. Etablierte Verlage haben die bevorstehenden Änderungen erkannt und suchen den Dialog, um gemeinsam an neuen Angeboten zu arbeiten. Die OSB Alliance hat in diesem Zusammenhang die Gründung einer Initiative gestartet, im Rahmen derer wir mit Verlagen und Medienverantwortlichen der Länder gemeinsam an Leitlinien für eine offene Entwicklung von Lehrmaterialien arbeiten. Durch die Möglichkeit einer offe­nen An­reicherung von Inhalten soll verhindert werden, dass sich be­stimmte Unter­nehmen eine Monopolstellung erarbeiten, während andere außen vor bleiben. Eine solche Monopolstellung würde den Markt für Kreative und unabhängige Entwickler unattraktiv machen und somit das Innovationspotenzial bedeu­tend mindern. Erfolgsentscheidend sind für eine solche Ge­meinschaftsinitiative vor allem drei Aspekte: Eine sichere Ent­wicklungs­platt­form, klare Standards für die Kommunikation und vertrauenswürdige Iden­tity-Provider. Letztere sind auch für die Definition von Rollen innerhalb der Entwickler-Community zuständig. Darüber hinaus müssen sichere Bezahl­sys­teme zur Ver­fügung stehen. Hier ist es wichtig, dass auf Basis derselben Standards verschiedene Protagonisten auch im Wettbewerb zueinander stehen können. Zusammenschlüsse wie die OSB Alliance werden selbst nicht unter­­neh­merisch tätig, nehmen aber gegenüber politischen Entschei­dungs­trägern Stel­lung und tragen einen wesentlichen Teil zur Förderung des Sek­tors bei.

 

Welche Chancen und Herausforderungen gehen für die Open-Source-Branche mit dem Trendthema Cloud Computing einher?

Anbieter von Cloud Services erkennen, dass ihre Systeme von offenen Standards profitieren können. In diesem Zusammenhang besteht eine Analogie zur Energiebranche. Anwender profitieren davon, dass es trotz der Vielfalt an Energieversorgern nur eine Art von Strom gibt. Bei Endgeräten kommt es somit nicht zu Kompabiliätsproblemen, der Staubsauger funktioniert auch dann noch, wenn der Stromanbieter gewechselt wird. Auf gleiche Weise ist es auch im Bereich des Cloud Computing wichtig, dass sämtliche Plattformen denselben offenen Standards gerecht werden und somit voll kompatibel und austauschbar sind. Die Idee von Open Source beschränkt sich letztlich auch nicht auf die IT-Branche selbst. Unter dem Titel „Open Minds Economy“ hat die OSB Alliance eine Veranstaltungsreihe initiiert, im Rahmen derer Wege der offenen Zusammenarbeit zwischen Industrie, Wissenschaft und Gesellschaft diskutiert werden sollen. Hier kann branchenübergreifend auf die Erfahrung der OSS-Community zurückgegriffen werden.

 

Das Interview führte Andreas Huber (10.02.2012).

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