1.2 Welche Bedeutung wird Business Open Source im öffentlichen Sektor haben? Interview mit (Interview mit Jürgen Jähnert)

Kurzfassung: Open-Source-Technologien haben sich im öffentlichen Sektor, ganz im Gegenteil zum privatwirtschaftlichen Sektor, noch nicht durchgesetzt. Noch immer dominieren Zweifel an der technologischen Ausgereiftheit von Open-Source-Lösungen. Die Open Source Bu­siness Alliance e.V. – kurz OSB Alliance – kann dem entgegenwirken, indem sie die Branche gegenüber der Politik vertritt und umfassend informiert. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Akteure aus Politik und der Open-Source-Community zusam­menkommen, um gemeinsam Standards für die OSS-Entwicklung zu de­finieren.

Dr. Jürgen Jähnert ist Leiter der Geschäftsstelle der OSB Alliance. Mit mehr als 230 Mitgliedern ist der Verein die größte Branchenvertretung im Bereich Open Source im deutschsprachigen Raum. In der Förderung von Open Source basier­ten Lösungen spielt die Gemeinschaft daher eine bedeutende Rolle.

 

Herr Dr. Jähnert, wie ist der Stellenwert von Open Source im öffentlichen Sektor einzuschätzen?

Trotz des enormen Potenzials von Open Source hat sich das Konzept noch nicht in allen Bereichen von Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung durchgesetzt. Gerade im öffentlichen Sektor herrscht eine gewisse Skepsis gegenüber der offenen Technologie, die dazu führt, dass IT-Aufträge zu großen Teilen an klassische Anbieter gehen und die OSS-Community das Nachsehen hat. Dieses Phänomen lässt sich kaum durch die technologischen Spezifikationen der unterschiedlichen Angebote begründen, sondern ist vielmehr als Resultat der generellen Bedenken gegenüber größeren technologischen Veränderungen auszumachen. Die öffentliche Verwaltung müsste einen tiefergreifenden Veränderungsprozess durchlaufen, damit Akzeptanz für OSS ge­schaffen werden kann. Nicht zuletzt ist oftmals auch fehlendes Know-how da­für verantwortlich, dass Entscheidungsträger in der öffentlichen Verwaltung vorzugsweise auf klassische Lösungen zurückgreifen und einen technologischen Wandel scheuen. Während die Privatwirtschaft in weiten Teilen schon mit Open-Source-Lösungen arbeitet, ist dieser Gedanke im öffentlichen Sektor noch nicht auf gleiche Weise angekommen.

 

Wie kann die OSB Alliance dazu beitragen, dass vermehrt Open-Source-Lösungen im öffentlichen Sektor eingesetzt werden?

Um einen Paradigmenwechseln zu unterstützen, kommen unterschiedliche Aktivitäten in Frage. Durch gezielte Information, etwa in Form von Konferenzen oder Workshops, kann das Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass OSS-Lösungen Vorteile gegenüber proprietärer Software haben. Darüber hinaus können die Vorzüge auch innerhalb von Schulungen und IT-Trainings kommuniziert werden. Erst wenn ausreichendes Wissen vorhanden ist, können Entscheidungsträger in der Verwaltung ausreichend Selbstvertrauen entwickeln, um den Schritt hin zu offener Software zu wagen. Branchen­ver­bän­de können hierbei den Veränderungsprozess aktiv anleiten und unterstützen.

Mit dem Ziel, die OSS-Branche qualifizierend zu unterstützen, gibt es derzeit eine Initiative, um einen Marktplatz für gemeinschaftliche Angebote von kleineren Anbietern zu schaffen. Im Rahmen der Open Source Integration Initiative (OSII), der die OSB Alliance als Pate zur Seite steht, wird vor diesem Hintergrund durch die Einbeziehung unterschiedlicher Projektpartner an einer Komplettlösung für Unternehmen gearbeitet. Die offenen Standards helfen dabei den Integrationsaufwand vom Kunden auf den Anbieter umzuleiten. Dies ist wichtig im Hinblick darauf, dass Anwender oft an der Integrierbarkeit von Open-Source-Lösungen zweifeln und privatwirtschaftlich entwickelte Software bevorzugen. Dabei stellen auch die Angebote von etablierten Unternehmen oft nichts anderes als Insellösungen dar, deren Integration ggf. ähnlich kompliziert und aufwendig ist. Allerdings verfügen etablier­te Unternehmen meist über ein vorintegriertes Angebotsportfolio, welches im Bereich Open Source so nicht immer verfügbar ist.

 

Stichwort Industrialisierung der Open-Source-Branche: Wie können Open Source und Business zusammengebracht werden?

Durch Referenzprojekte wie der OSII kann das Vertrauen in die Branche gestärkt werden. Es liegt im Aufgabenbereich von Verbänden weitere Projekte anzustoßen und zu koordinieren. So kann es zu einem Schneeballeffekt kommen und eine Mentalität entstehen, die den Durchbruch von offenen Standards erlaubt. Eine Professionalisierung der Branche kann darüber hinaus nur stattfinden, indem sich die Branche einen Schritt wegbewegt von allzu „handwerklich“ geprägtem Denken. Eine Industrialisierung der Branche ist also nur durch Standardisierung möglich. Diese Standards müssen vor allem auf vereinheitlichte Kommunikationsschnittstellen und die Austauschbarkeit von Softwarelösungen abzielen. Es müssen darüber hinaus auch Standards für die Dokumentierung von Entwicklungsprozessen eingeführt werden. Analog zum Beispiel eines Tisches, dessen Holzbeine jeder Tischler austauschen kann, muss auch jeder Programmierer in der Lage sein, einzelne Softwarekomponenten innerhalb eines IT-Systems auszutauschen.

 

Welche Rolle spielt der öffentliche Sektor bei der Professionalisierung der Open-Source-Branche?

Der öffentliche Sektor selbst tritt in Bezug auf die Professionalisierung des OSS-Sektors vor allem als Nachfrager in Erscheinung. Größte Hürde ist, dass es innerhalb des öffentlichen Sektors kaum standardisierte Prozesse gibt. Viele Kommunen sind so bereits in der Vergangenheit an der Implementierung von ERP-Systemen gescheitert und hadern heute ebenso mit offenen Standards bzw. standardisierten Vorgehensmodellen auf Prozessebene. Erst wenn einheitliche Anforderungen für die Verwaltungsprozesse von Kommunen definiert und implementiert worden sind, können effiziente Softwarelösungen entwickelt werden. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass der Durchbruch von OSS nur schwerlich ohne politischen Willen und einen „sanften Druck von oben“ möglich ist. Derzeit bestehen starke Unterschiede im Einsatz von Open-Source-Lösungen je nach Anwendungsbereich. Wäh­rend die Lösungen im Serverbereich (Linux als bessere Alternative zu pro­prietärer Software) schon weit verbreitet sind, tun sich Nutzer von Endge­rä­ten noch bedeutend schwererer mit der Umstellung.

 

Herr Dr. Jähnert, Sie sind Unitleiter bei der MFG Innovationsagentur für IT und Medien Baden-Württemberg [1]. Wie kann die regionale Wirtschaftsförderung die Open-Source-Branche stärken?

Die Branche leidet derzeit unter einem Mangel an Gründungskapital. Noch haben Kapitalgeber zu wenig Vertrauen in die Nachhaltigkeit sowie das Potenzial von OSS. Diese Mentalität rührt vor allem daher, dass der OSS-Branche nicht zugetraut wird, trotz der komplexen Governance-Anfor­derun­gen qualitativ hochwertige Produkte unter Einhaltung relevanter Zeitpläne zu entwickeln. Auch Intellectual Property Rights (IPR) spielen eine Rolle, da die OSS-Entwicklung oft in verschiedenen Stufen und unter verschiedenen Lizenzmodellen stattfinden. Dieser Umstand stellt ein enormes Risikopotenzial für Kapital- und Auftraggeber dar. Erst durch eine neutrale Qualitätsbe­wertung, etwa in Form einer zentralen Zertifizierungsstelle, kann eine höhere Rechtssicherheit für die Branche und den Anwender erreicht werden. Im Um­kehrschluss macht eine solche Zertifizierung die Entwicklung allerdings teurer und schränkt das Innovationspotenzial ein.

Grundsätzlich gilt für die regionalen Wirtschaftsförderungen, dass sie dazu beitragen sollten, Vertrauen in die Nachhaltigkeit und in das Potenzial von OSS-Lösungen bei Kapitalgebern aufzubauen.

 

Können Sie uns bitte Ihre Einschätzung zur Entwicklung der Open-Source-Branche in den nächsten Jahren geben?

Auf kurze Sicht ist nicht zu erwarten, dass sich Open Source gegen proprietäre Software in allen Bereichen und Anwenderbranchen durchsetzen wird. Noch besteht der Sektor überwiegend aus kleineren und mittelständischen Unternehmen, die sich in Nischenmärkten ansiedeln. Das gegenwärtige Mo­mentum der Branche läuft derzeit auch Gefahr, durch den Trend des Cloud Computing ausgebremst zu werden. So wird Open Source nicht selten zum Implementierungsdetail degradiert, während Cloud Computing als die wich­tigere Technologie verkauft wird. Mittelfristig allerdings wird die Branche bedeutend wachsen und nicht zuletzt von der starken öffentlichen Förderung profitieren.

Das Interview führte Andreas Huber (10.02.2012).

 


[1] Die MFG Innovationsagentur für IT und Medien Baden-Württemberg leitet die Geschäftsstelle der OSB Alliance.

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